Erftkadetten im 19. und frühen
20. Jahrhundert

                                            
Bild aus dem Fundus von Norbert Blinken
 
Aus: Statistische Darstellung des Kreises Neuss, bearbeitet von dem Königlichen Landrat Seul, Neuss 1863, S. 68 f., Nachdruck in: Claudia Chehab, Soziale Lage im 19. und 20. Jahrhundert im Spiegel von Quellen des Stadtarchivs Neuss (=Dokumentation des Stadtarchivs Neuss 1), Neuss 1988, S. 82.
 
Die Verhältnisse der arbeitenden Klasse im 19. und frühen 20. Jahrhundert im Kreis Neuss(Dokumentation des Stadtarchivs Neuss 1988) Lebensumstände der Frucht- oder Sackträger (Erftkadetten), die im Neusser Hafen Schiffe be- und entluden.
Thaler (Thrl) = 30 Silbergroschen (Sgr) bis 1873 in Preußen:
Bedürfnisse der geringsten Tagelöhner-Familie (2 Kinder) pro Jahr: 70-80 Thrl Nahrungsmittel, 12-18 Thrl Wohnung (1 Zimmer), 6-8 Thrl Brennmaterial, 15-20 Thrl Kleidung, 6-8 Thrl Hausrat, 1-2 Thrl Abgaben. 113-139 Thrl jährlich.
 
Ist die Familie stärker, so sind auch die Bedürfnisse größer, und so bleibt zur Befriedigung derselben alsdann nichts anderes übrig, als daß die Familie sich Entbehrungen auferlege, oder daß der Mann durch Ueberstunden sich ein Mehrverdienst schaffe, oder daß endlich außer dem Mann auch dessen Frau, wenngleich mit Hintenansetzung des eigenen Hauswesens, durch Arbeiten für Undere zu verdienen suchte. Der tägliche Verdienst eines Tagelöhners beträgt in den Wintermonaten 10 bis 14 Sgr., in den Sommermonaten dagegen 12 bis 16 Sgr. und in manchen Fällen noch mehr. Es gibt viele Arbeiter, wie die Fruchtträger bei den Speichern der Kaufleute, die Träger bei den Ein- und Ausladungen am Erftkanal ect., welche dadurch einen höheren Verdienst haben, daß sie nicht per Tag bezahlt werden, sondern einen gewissen Traglohn erhalten. Bei den größeren Anstrengungen, denen diese Arbeiter sich unterziehen haben letztere in der Regel auch größere persönliche Bedürfnisse, wodurch alsdann der familie doch nicht mehr, als ein gewöhnlicher Tagelohn zu gute kommt. An Sparen ist bei den gewöhnlichen Tagelöhnern, welche lediglich auf ihr Verdienst als solche angewiesen sind, nicht zu denken; ihre Lage ist vielmehr im Allgemeinen eine beschränkte und mißliche, und es wendet sich die Familie in Krankheitsfällen stets an die öffentliche Wohltätigkeit um Unterstützung. In Beziehung auf Bedürfnisse und Verdienst sind diesen Tagelöhnern fast gleich zu stellen diejenigen Arbeiter in Fabriken und Etablissements, welche ohne technische Vorbildung Tagelohnweise in den selben beschäftigt werden, die demnach zwar dem Namen nach Fabrikarbeiter, in Wirklichkeit aber Tagelöhner sind. Die in den Oelfabriken beschäftigten Arbeiter haben vielfach Gelegenheit zu Nebenverdienst durch Ueberstunden, durch Samentragen und dgl. in den freien Stunden, jedoch geschieht es auch bei einem großen Teil dieser Arbeiter, daß der Mehrverdienst, wenn nicht ganz, so teilweise durch persönlichen Verzehr absorbiert und sohin der Familie entzogen wird. Die Oelfrabriken sind ueberdies gewöhnlich nicht das ganze Jahr hindurch, sondern nur vom Beginn der Sommerernte (Ende Juni) bis zum nächsten Frühjahr in Betrieb. Die in den Oelmühlen beschäftigten Arbeiter sind deshalb gezwungen, während der Zeit, wo die Mühlen außer Betrieb gesetzt sind, als gewöhnliche Tagelöhner Beschäftigung und Verdienst zu suchen, und so haben die in den Fabriken beschäftigten Tagelöhner vor den gewöhnlichen Tagelöhnern eigentlich nur daß voraus, daß die Mitglieder der Fabrikarbeiter-Unterstützungskasse sind, und dadurch in Krankheitsfällen außer freier ärztlicher Behandlung und freien Medicamenten Anspruch auf eine angemessene Unterstützung haben. Mancher Tagelöhner sucht auch durch Anpachtung eines kleinen Gartens, den er in den Nebenstunden selbst bearbeitet, seine Lage zu verbessern.

 

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